von Ran Acyl
Als der Homeway in den Bahnhof einfuhr, kündigten die bebenden Gleise seine Ankunft an, noch ehe er am Horizont zu erkennen war. Durch die Windböen preschte die pechschwarze Eisenbahn mit solch einer Geschwindigkeit, dass die Schrauben aus den Fugen herausspringen drohten. Die mechanische Stimme der Durchsagedame trällerte durch die Lautsprecher, nachdem ein lauter Dong erklungen war:
„Bitte halten Sie Abstand auf Gleis 7. Der Schnellzug „Homeway“ nach Oslo wird in Kürze einfahren.“
Ed Elsker trat einen Schritt von der weißen Markierung auf dem Boden weg, als auch schon der Homeway einfuhr. Seine Schnelligkeit zerschnitt die Luft, die Ed Elskers Mantel am Saum packte und ihm ihn um die Ohren wirbelte. Die Bremsen drückten sich gegen die Schienen und der Zug blieb mit einem metallenen Quietschen stehen.
„Und du willst uns wirklich verlassen?“, fragte die matte Stimme hinter Ed Elsker, die ihn verleitete seinen Blick von dem gewaltigen Zug zu nehmen und sich zu seinem alten Kameraden Boo Walder umzudrehen.
„Ja, es ist Zeit für mich zurückzukehren“, sagte Ed, „Die Arbeit hier hat mich viel zu lange aufgehalten und jetzt werdet ihr meine Hilfe nicht mehr benötigen.“ Boo lachte reißerisch auf und dicke Atemwolken stiegen in die kalte Luft auf:
„Mein Freund, deine Hilfe können wir hier immer gebrauchen. Und sollte es dir je wieder nach ein wenig Aufregung mangeln, komm einfach wieder mit dem Homeway zurückgeflogen und beehr uns wieder mit deiner Anwesenheit.“ Ed Elsker nickte, bevor er seinen Freund zum Abschied umarmte und dann mit samt seinen Koffern zu den offenen Türen ging. Die Wagons waren trotz der äußeren Erscheinung geräumig und in Kabinette unterteilt. Die meisten der Kabinette waren bereits von Familien besetzt, die an vorherigen Haltestellen eingestiegen waren. Aufgeregte Stimmen drangen hinter ihren Türen hervor und durch das Türfenster, dessen Vorhang die Familie nicht zugezogen hatte, sah Ed Elsker die zu den Stimmen zugehörige Gesichter. Er schob seine Koffer weiter durch den Flur, dessen Boden mit einem roten Teppich ausgelegt war und blickte durch jedes Fenster, welches einen Einblick in seine Kabine zuließ, bis er erleichtert die letzte Tür aufschub und in eine menschenleere Kabine schlüpfte. Auch wenn der Zug sein hochmodernes Selbst von außen zur Schau stellte, war die Inneneinrichtung eine andere Welt. In den Kabinen hatte man über das Metall Holzdielen ausgelegt und die Bänke mit großen Kissen gepolstert. In diese ließ sich Ed langsam sinken und binnen Sekunden fiel ihm die Last von den Schultern, dass er scharf ausatmen musste. Er nahm seine Brille ab und rieb sich den Nasenrücken, an dessen Flanken sich Abdrücke der Brille vom langen Tragen abzeichneten. Ein leises Vogelgezwitscher ertönte und eine weitere Durchsage klang an:
„Willkommen im Homeway. Dies ist der letzte Halt vor Oslo. Die geschätzte Fahrtzeit beträgt acht Stunden. Im vorderen Wagon bieten wir Vergnügungen an, um Sie vor möglicher Langeweile zu schonen und im jedem weiteren Wagon werden Sie ein Restaurant mit eingebauter Bar vorfinden. Benötigen Sie weitere Auskunft oder Hilfe, so finden Sie in Ihrer Kabine eine Glocke, die Sie betätigen müssen und binnen weniger Minuten wird jemand für Sie bereitstehen. Wir bedanken uns, dass Sie sich für uns entschieden haben und wünschen Ihnen einen angenehmen und entspannten Aufenthalt.“
Kurz nach der Durchsage gab es einen lauten Pfiff auf dem Bahnsteig und der Zug setzte sich in Bewegung und schon bald war der Bahnhof nur noch ein kleiner Fleck im Dunstnebel der Nacht. Ed Elsker legte seinen Kopf in den Nacken und schloss die Augen. Diese Ruhe hatte er seit Jahren nicht mehr verspürt und es entwich ihm ein leises, heisereres Lachen. Auch wenn er seinen Freund Boo Walder vermissen würde, an diesen Ort würde er nie wiederkehren.
Er hatte nicht bemerkt, dass er eingeschlafen war, bis das Scheppern der Tür, die aufgestoßen wurde, ihn aufschrecken ließ. Das Mädchen, dass auf der Schwelle stand war verschwommen, als sei sie unter der Wasseroberfläche eines Sees, in dem man ein Stein fallen gelassen hatte. Sie sprang auf die Bank ihm gegenüber und presste ihr Gesicht an das Fenster, sodass ihr Atem die Scheibe beschlug. Noch trunken von dem Nickerchen glitten Ed Elskers Finger über die Kommode und setzten seine Brille auf. Das Bild, welches ihm sich bot, klärte sich und er räusperte:
„Kind, du hast dich in der Kabine vertan.“
„Im Regen zu fahren ich toll! Die Regentropfen fließen so lustig die Scheibe hinunter, als würden sie miteinander ein Wettrennen machen, wer zuerst den Rand erreicht.“ Das Mädchen klopfte gegen das Glas, doch ließen sich die Tropfen nicht davon beirren. Ed Elsker blickte auch hinaus und die Dunkelheit raubte ihm jegliche Sicht. Er musste ein paar Stunden geschlafen haben, wenn die Nacht bereits so tief war. Er warf seinen Ärmel zurück und las die Uhrzeit seiner silbernen Armbanduhr ab. Bereits 1 Uhr morgens.
„Das ist aber eine schöne Uhr! Woher haben Sie die?“, fragte das Mädchen mit pipsiger Stimme.
„Sie war ein Geschenk von meiner Frau zu unserem zehnten Hochzeitstag.“ Das Mädchen setzte sich bequemer auf die Bank und trat sich die Schuhe aus, die dumpf auf den Boden fielen.
„Und wo ist Ihre Frau jetzt?“ Ed Elsker verzog das Gesicht, als sie ihre Beine anwinkelte und ihre nackten Füße das Kissen berührten.
„Zuhause.“
„Wieso reisen Sie nicht mit ihr?“, fragte das Mädchen weiter.
„Ich reise nicht. Ich arbeite. Nun, eher gesagt ich habe gearbeitet.“ Ed machte eine kleine Pause, ehe er fortfuhr, „Ich kehre heute nachhause.“
„Meine Mutter muss nicht mit dem Zug fahren, wenn sie arbeiten geht. Sie steigt ins Auto und ist auch nach einer halben Stunde schon im Büro!“
„Nicht jeder hat das Glück einen Job in der Nähe zu kriegen.“
„Sie wohnen in Oslo?“ Ed Elsker fühlte sich als wäre er in einem Verhör. Eine Frage nach der anderen und es schien nicht enden zu wollen, so viele Antworten er auch gab. Das Ticken der Zeiger seiner Armbanduhr schwoll an und er konnte die Zeit quälend langsam verstreichen sehen. Er wollte lediglich die Fahrt über Schlafen, um am Morgen erholt aus dem Zug steigen zu können.
„Ich war seit über vier Jahren nicht mehr in Oslo“, erklärte er dem Mädchen gerade, als eine starke Windböe gegen die Scheibe peitschte und der Wind seinen kalten Atem durch die undichte Lucke blies. Das Mädchen erschauderte. Sie trug, wie ihm gerade auffiel, nur ein dünnes Nachthemd. Ungewöhnlich, da es schon fast Winter war und die Nächte immer frischer wurden. Seufzend suchte er in seiner Tasche nach einem Pullover und gab es ihr. Als sich ihre Fingerspitzen berührten, waren ihre tiefgefroren.
„Du bist ein netter Mann“, sagte sie und schlüpfte in die wohlige Wärme hinein.
„Wo sind deine Eltern?“, fragte Ed Elsker erneut, beunruhigter zuvor.
„Sie sind im vorderen Wagon in der Lounge. Kinder sind dort nicht zugelassen, also meinten sie, ich dürfte den Zug erkundigen. In einem fahrenden Zug könnte ich schlecht verloren gehen, haben sie gemeint.“ Großartige Eltern. Ließen ihr minderjähriges Kind unbeaufsichtigt herumlaufen. Sie war vielleicht gerade Mal zehn Jahre alt.
„Und jetzt gehst du von Kabine zu Kabine und belästigst die anderen Mitfahrer?“ Das Mädchen blies ihre Wangen auf und verschränkte trotzig die Arme vor der Brust.
„Ich belästige niemanden hier. Außerdem ist deine Kabine die Erste, die ich betreten habe. Du schienst ein wenig einsam. Alle anderen Kabinen sind voll mit Familien und Pärchen, nur du saßt allein im Dunkeln.“
„Ich hatte ja auch geschlafen“, murmelte Ed Elsker und rieb sich die Stirn. Es bereitete sich eine Stille aus, in der das Mädchen ihn bedrückt ansah, als sei sie dabei erwischt worden, eine Tafel Schokolade stibitzt zu haben.
„Kann es sein, dass du selbst einsam bist?“, fragte Ed Elsker nach einer Weile der unangenehmen Stille und das Mädchen mied seinen Blick.
„Möchtest du Schach spielen?“ Rund, wie zwei große, braunschimmernde Knöpfe wurden ihre Augen, als er aus seinem Koffer ein Packet hervorholte, das in weißblaues Geschenkpapier eingewickelt war. Vorsichtig löste er den Tesafilm von den Ecken und faltete das Geschenkpapier ohne Falten zu werfen. Es war ein kleines Schachspiel, die Hälfte von einem normalen Spiel, doch praktisch, wenn man unterwegs eine kleine Partie spielen wollte.
„Kennst du die Regeln?“, fragte Ed Elsker, doch das Mädchen schüttelte den Kopf und begutachtete aufmerksam, wie er die Spielfiguren aufstellte. Die schwarzen Figuren stellte er vor sich auf, die Weißen vor ihr. Fasziniert berührte sie eine Figur nach der anderen, bis sie eine in die Hand nahm und ins Licht hielt.
„Das ist die Dame“, erklärte er, „Sie ist die stärkste Spielfigur auf dem Feld.“
„Aber sie ist eine Frau“, sagte das Mädchen und stellte die Dame wieder neben den König.
„Mein Vater meinte, Frauen sind nicht so stark wie Männer.“
„Dein Vater scheint mir ein bisschen veraltet zu denken. Ich habe eine Mutter, die mich geboren hat, sich um mich gesorgt hat, mich beschützt hat, selbst nach dem Tage, an dem ich lernte, auf eigenen Beinen zu stehen. Ich habe eine Frau, die ehrgeiziger ist wie kein anderer, die vor keiner Konfrontation zurückschreckt, wenn es darum geht ihre Meinung zu vertreten. Und ich habe zwei Töchter, schlauer als ich es je gewesen war. Die Ältere ist auch eine Gelehrte in der chinesischen Kampfkunst Wushu und ihren männlichen Kommilitonen weit voraus. Deine Stärke kommt nicht auf dein Geschlecht an, sondern auf deinen Willen, deiner Übung und deiner Klugheit. Und die Dame im Schach stellt diesen Aspekt der Stärke dar.“
Darauf erklärte er die Spielregeln und wie sich die jeweiligen Figuren bewegen konnten. Das Mädchen setzte ihren ersten Bauern mit bebenden Händen. Vor Aufregung versetzte sie sich ein oder zwei Mal im Spiel, doch da es ihr Erstes überhaupt war, war Ed Elsker nicht sonderlich streng mit ihr. Die erste Partie war schnell gewonnen, ebenso die Zweite. In der Dritten haderte er ein bisschen, nachdem er das enttäuschte Gesicht gesehen hatte. Sie kam in der Runde soweit, dass sein König zwei Mal Schach stand und beinahe durch einen Fehler von ihm, Matt gewesen wäre.
„Früher, als meine Töchter noch klein waren, habe ich jeden Sonntag mit ihnen Schach gespielt. Es war der schönste Tag in meiner Woche. Wenn einer von meinen Töchtern mich besiegte, schuldete ich ihnen einen Tag ihrer Wahl. An dem Tag durfte ich nicht arbeiten und musste mit ihnen Spazieren gehen oder wir fuhren gemeinsam zum Fischmarkt. Sie waren noch so klein, dass sie selten gewannen. Vier, fünf Mal hatten sie mich Schachmatt gesetzt. Ich wünschte, ich hätte öfters verloren.“
„Vermissen Sie diese Zeit?“ Der Zug ruckelte, dass die Figuren aus ihren Feldern wackelten.
„Jeden Tag.“ Für einen Augenblick schien es, als würde der Zug stehen bleiben. Bremsen quietschten und der Zug wurde ruckelnd langsamer. Skeptisch schaute Ed Elsker aus dem Fenster und kniff die Augen zusammen. Es hatte aufgehört zu regnen und durch die Dunkelheit zeichneten sich leichte Hügel ab, die an dem Meer grenzten.
„Das hier ist doch nicht Oslo“, grummelte er. Womöglich gab es eine Panne am Homeway. Das Mädchen rutschte von den Kissen und schlüpfte in ihre kleinen Schuhe:
„Hier muss ich aussteigen.“
„Was redest du denn? Der Zug hält hier nicht. Es ist eine Durchfahrt nach Oslo“, sagte er, aber das Mädchen schüttelte traurig den Kopf:
„Den Rest des Weges musst du allein gehen. Ich wünsche dir eine gute Überfahrt.“ Sie sprang auf ihre Füße und winkte ihm zu. Als sie die Tür öffnete, fragte er, denn ihm war etwas eingefallen:
„Wie heißt du eigentlich?“
„Hannah Sue.“ Die Tür rastete hinter ihr ein und ließ einen leeren Platz zurück. Das Kissen, auf dem sie gesessen hatte, war immer noch eingewölbt und an der Fensterscheibe sah man noch immer den Nasenabdruck.
„Wie seltsam. Meine Töchter tragen die gleichen Namen.“ Es gab einen erneuten Ruck und der Homeway setzte sich wieder in Bewegung, doch es kam keine Durchsage, die sich für den Stillstand entschuldigte. Dabei rutschten die Figuren weiter vom Brett und fielen über die Kante auf den Teppich, der ein lautes Krachen prävenierte. Mühselig beugte sich Ed Elsker nach vorn, um die Spielfiguren aufzusammeln und er spürte die Anstrengung in jeder seiner alten Knochen. Alles an Ort und Stelle verstaut, meldete sich sein Magen mit einem Grummeln erster Klasse, als hätte man ihn vergessen.
Als er sich aber auf den Weg zum Restaurant machte, fühlte er sich merkwürdig. Etwas schien nicht wie zuvor zu sein. Die Kabinen, in denen zuvor große Familien saßen, waren abgedunkelt und lediglich von ein oder zwei Personen besetzt. In einem saß ein kleiner Junge, der seinen Teddybären fest gegen die Brust drückte; Zwei Kabinen weiter las eine alte Frau in ihrem Taschenbuch, während ihr Mann neben ihr ein Nickerchen machte. Das ausgelassene Gelächter, welches ihm beim Einstieg begrüßt hatte, blieb vollkommen aus. Wahrscheinlich hatte die Langeweile die Mitfahrer gepackt und sie in den Vorderen Wagon verschlagen. Er ging den gesamten Flur an alle Kabinen vorbei -in keiner von denen ließ sich eine vollzählige Familie vorfinden- und schob schließlich die Tür zum Restaurant auf. Es flackerten harmonisch Kerzen auf jeden der weißen Tische, auch wenn die meisten leer waren.
Der Kellner eilte herbei, sobald Ed Elskers Hintern den Ansatz des Stuhls berührt hatte.
„Der Herr, wünschen Sie vorab ein Getränk?“
„Einen Merlot, bitte“, sagte er leicht irritiert von der direkten Bedienung und der Kellner glitt auf Wolken davon, um den Barkeeper seine Bestellung aufzugeben. Die Menükarte war klein und passte in seine Handfläche. So war es nicht verwunderlich, dass auf der Karte nur zwei Gerichte standen. Viel verwunderlicher waren die Gerichte selbst.
<<Judith´s Rinderrouladen>>
<<Spaghetti mit Vanilleextrakt alla H & S>>
„Ihr Merlot! Und könnte ich Ihre weitere Bestellung aufnehmen?“
Ed Elsker begutachtete die Rinderroulade, die ihm vorgesetzt wurde. Von dem Feldsalat als Appetizer bis hin zur weißen Schnur, die das Fleisch zusammenhielt, war es identisch. Zögernd nahm er das Besteck in die Hände und schnitt das Fleisch. Wie er es gewohnt war, quoll unter dem Messer der Fleischsaft hervor und der betörende Duft von gebratenem Fleisch mit gerösteten Zwiebeln stieg intensiver in seine Nase hoch. Ihm stiegen die Tränen in die Augen und er führte den Bissen an seine Lippen. Auch der Geschmack war der Gleiche, wie er ihn in Erinnerung hatte, als stünde sie gerade in der Küche in der mit Flecken besprenkelten Schürze und wusch das dreckige Geschirr. Mit jedem Bissen, den er nahm, nahm das Bild mehr an Farbe an, bis er jedes einzelne Detail vorfinden konnte. Seine Schultern bebten und die Gabel drohte ihm aus der Hand zu fallen. Der Kellner war binnen Sekunden an seinem Tisch und rettete das Glas Merlot vor dem tödlichen Sturz, da Ed Elskers Rückhand es versehentlich weggestoßen hatte.
„Es tut mir leid“, flüsterte Ed Elsker unter Schluchzern und tupfte sich mit der Serviette die feuchten Wangen, aber der Kellner lächelte ihn mit seiner Professionalität an.
„Es gibt nichts, wofür Sie sich entschuldigen müssen, der Herr. Schmeckt es Ihnen?“
„Ja, es ist ausgezeichnet. Es schmeckt, wie…“, er suchte nach dem passenden Wort, doch konnte er das Gefühl, dass in ihm aufgekommen war nicht erklären.
„Zuhause?“, half ihm der Kellner aus dem Konfus und Ed Elsker nickte,
„In der Tat. Es schmeckt, wie zuhause.“
„Der Herr, wir haben soeben den Tunnel erreicht. Wenn Sie es bedürfen, geleite ich Sie in die Lounge, in der sie den besten Ausblick genießen können“, sprach der Kellner ihn an, nachdem er auch den letzten Krümel verspeist hatte. Träge von dem reichen Essen erhob er sich und folgte dem Kellner, dessen Schuhe bei jedem Schritt klackten, wie die eines Stepptänzers.
„Genießen Sie Ihren Aufenthalt im Homeway, der Herr?“, fragte der Kellner, ohne nach hinten zu blicken. Für Ed Elskers Geschmack ging der Junge ein wenig zu schnell, doch war der Zug lang und die Zeit knapper.
„Das tue ich, danke“, antwortete er dem Kellner.
„Freuen Sie sich auf Oslo?“
„Auf nichts anderes könnte ich mich mehr freuen.“
„Werden Sie es denn nicht vermissen? Ihre Arbeit, ihre Freunde?“ Der Kellner nickte einem vorbeikommenden Fahrgast zu und öffnete für Ed Elsker die nächste Wagon-Tür.
„Ich liebte meine Arbeit, denn ich konnte sie mit meinem engsten Freund teilen, aber ich habe die letzten Jahre meines Lebens nur mit ihm verbracht. Ich bin müde geworden und ich freue mich auf Zuhause. Meinen Freund werde ich natürlich vermissen, aber ich denke, er wird mich bald besuchen kommen.“
„Ich freue mich, das zu hören. Der Herr, hier ist die Lounge. Ich werde zurück ins Restaurant kehren.“ Der Kellner wies auf die schwere Holztür an der ein goldenes Schild mit der Inschrift <<Lounge>> prangte.
„Ich danke dir. Wie ist denn dein Name?“
„Boo, der Herr“, verbeugte sich der junge Kellner und schritt zurück in den hinteren Wagon des Zuges. Ed Elsker schaute ihm einen Augenblick hinterher, ehe er in die Lounge eintrat. Es war kühler als in den Zug Abschnitten zuvor. Dass die Wände und Decke komplett aus Glas bestanden, könnte der Grund für diesen Temperaturunterschied sein. Staunend stellte er sich nah an die Fenster und schaute hinaus. Außen waren Scheinwerfer angebracht, die in die Finsternis hinein leuchteten. Dank diesen konnte er einen Schwarm goldschimmernde Fische über sich hinweg schwimmen sehen. Der Homeway war unter Wasser und bot den Anblick auf die schönsten Fische an, die sich Ed Elsker je erträumen hätte können. Sie scheuten nicht von dem Zug, sondern kamen dem schnellen Gefährt ganz nahe und schwammen eine Zeit lang mit, bis sie nicht mehr mithalten konnten. Auf der linken Flanke hatten sich drei Seesterne angehaftet und ein Aal schlingerte am Glas rauf und runter.
Ed Elsker setzte sich staunend in den Sessel, der sich in jede beliebige Richtung drehen konnte und bewunderte die Geschöpfe um ihn herum. Sie fuhren in eine andere Welt. Er konnte nicht glauben, dass es solch ein Anblick in seiner Welt gab. Mystisch und anziehend. Es kribbelte ihm in den Beinen, hinaus zu klettern und mit den Fischen zu schwimmen, auch wenn er nicht wusste, wie man schwamm. Das Faszinierendste war jedoch, dass es keinen einzigen Fisch gab, der nicht glühte. Sei es blau, rot, orange oder auch grün; Sie erleuchteten das Meer in den schillerndsten Farben.
„Unglaublich“, entwich es ihm.
Randvoll mit den Glücksgefühlen, die der Anblick des Meeres ihm geschenkt hatte, stieg er aus dem Homeway aus. Er fühlte sich reingewaschen und frisch, wie gerade aus der Windel rausgekommen. Mit ihm stieg eine Handvoll von weiteren Passagieren aus, wobei er sich sicher gewesen war, dass weit aus Mehrere in dem Zug gewesen waren. Summend und voller Tatendrang hüpfte er beinahe über die Plattform, als er sie sah. Augenblicklich stieg seine Laune noch mehr an. Sie hielt ein Schild mit seinem Namen in die Höhe und hatte um diesen Rosen und Herzen gemalt. So schnell ihn seine alten Knochen tragen konnten, lief er zu ihr und warf sich in ihre Arme, wobei das Schild seinen Weg zum Boden fand. Ihren Duft einatmen zu können und ihren Körper spüren zu können, war unbeschreiblich.
„Wie lange ist es nun schon her? Viereinhalb Jahre?“, fragte Ed Elsker und drückte sie fester an sich.
„Weißt du, hier geht die Zeit viel schneller um. Ich habe dich dennoch jeden Tag vermisst“, antwortete sie mit ihrer weichen Stimme und tätschelte ihm den Rücken. Sie lösten sich aus der Umarmung und ihre Finger verzweigten sich ineinander, während sie sich auf den Weg machten.
„Wie geht es Hannah und Sue“, fragte sie und er legte nachdenklich den Kopf in den Nacken.
„Sie sind beide sehr fleißig. Hannah wird bestimmt bald in die Meisterschaft aufgenommen und Sue hat letztes Jahr ihr erstes Kind bekommen. Du hättest sehen müssen, wie überfordert sie zu Beginn war. Aber jetzt hat sie es alles gut gemeistert, ganz wie ihre Mutter. Aber sie war die letzten paar Monate sehr krank.“
„Sie wird bestimmt bald wieder gesund, daran glaube ich fest. Sie ist ein starkes Mädchen. Schon als sie noch klein war, konnte keine Krankheit sie kleinkriegen. Und Boo?“
„Er hat sich von mir verabschiedet, bevor ich gegangen bin. Ich glaub, er ist ein bisschen traurig.“
Sie nickte lächelnd:
„Sie alle sind es.“ Sie gingen auf eine Bank zu, die recht verloren inmitten des Bahnhofs stand und setzten sich auf sie drauf.
„Wenn die Zeit gekommen ist, dann werden wir auch sie vom Bahnhof abholen.“ Ihr Kopf fand den Weg auf seine Schulter und sie flüsterte leise:
„Willkommen zuhause, Eddie“
„Ich bin zurück, Judith.“